Das Buch von Werner Lang "Stramm" Fotografie und Literatur aus der Arbeitswelt ist eine freudige Überraschung und eine schöne dazu, obgleich das, worauf wir da aufmerksam gemacht werden, gar nicht schön ist. Vielen Dank Gue Schmidt und Werner Lang für das Buch, es ist, darf man sagen, in jeder Beziehung gut gemacht. Die Untertitelung der Bilder mit passenden Stellen aus dem Buch scheint mit sogar ein grandioser Einfall, mir ist so etwas noch nie vorgekommen. So ermöglicht die Erzählung nun auch eine repetitive Lektüre, zuerst liest, denke ich, man den Text, und dann Seite für Seite die Bilderfolge mit den passenden Textstellen, wodurch die Erzählung selbst sozusagen bildhaft wird und der Inhalt einem enorm verlebendigend naherückt.
Friedrich Tomberg
Das Buch ist zu Bestellen: E-Mail mag3@mur.at
Aus „Stramm“ Eine Erzählung
…Zurückblickend zu seiner Ausbildungszeit blieb ihm in Erinnerung, dass er, wie alle anderen Lehrlinge auch, von den Ausbildnern, ohne jegliche pädagogische Ausbildung, so lange drangsaliert, von den Facharbeitern reglementiert, kommandiert und von den Lehrlingen des älteren Jahrganges körperlich gezüchtigt wurde, bis man für den Betrieb automatisch richtig funktionierte. Wer sich dem nicht unterwerfen wollte, wurde vorzeitig ausgeschieden.
Schon im ersten Lehrjahr wurde Stramm von einem Lehrling des zweiten Lehrjahres bedroht. Der wurde von einem aus dem dritten Lehrjahr eingeschüchtert. „Wenn er nicht Stramm schlägt, würde er ihn schlagen.“ Aber Stramm schlug als erstes zu, so wie es ihm als Arbeiterkind beigebracht wurde. Danach wurde er für kurze Zeit in Ruhe gelassen, bis der dritte Jahrgang direkt über ihn herfiel. Sein einziger Freund in seiner Lehrzeit verletzte sich mehrmals absichtlich - wie viele andere Lehrlinge auch - um ein paar Tage aus dieser Lehrlingsanstalt, dem Vorbereitungsort seines zukünftigen Lebensbereichs, zu entfliehen. Diese Selbstverletzungen hielt jeder in der Lehrwerkstätte von den Arbeiterkindern aus, weil sie schon als Kinder so von ihrer Umwelt hergerichtet wurden, dass sie, wenn sie in ihr Arbeitsleben eintraten, Schmerzen in welcher Art auch nur mehr dumpf spürten.
Zur Freisprechung am Ende der Lehrzeit gehörte dazu, dass man Mitglied bei der großen Arbeiterpartei wurde, wie die Gewerkschaft sie nannte und der Sozialistischen Partei beitrat. Schon alleine das Verfügungsrecht über den Lohnabhängigen erspart jede persönliche Auseinandersetzung.
Stramm lernte in der Arbeit mit der alltäglichen Angst, alles richtig und jedem recht zu machen, die ihm in der Lehrzeit eingebläut wurde, zu leben. Ähnliches erzählte ihm auch einmal sein Bruder, der sein ganzes Leben als angelernter Hilfsarbeiter an einer Spannmaschine in diesem Werk verbrachte. Bei ihm galt es, die ersten paar Monate als Schnitzbinder durchzustehen, wo jeder glaubte, über die neuen Hilfsarbeiter verbal herfallen zu können. Damals war diese Stahlfabrik noch verstaatlicht. Ein paar Wochen bevor er durch Überarbeitung starb, sagte er ihm, dass für die politische Ruhigstellung der Belegschaft in diesem Betrieb die Verstaatlichte Industrie von der Sozialdemokratie als „Volkseigentum“ verkauft wurde, um begründen zu können, dass Kampfmaßnahmen gegen das „Volkseigentum“ nur das Volk schädigen könnte, denn dieser Pseudosozialismus, so sagte er, hat sich ja insgesamt fast fünfundzwanzig Jahre für die Privat-Unternehmer bewährt, und von diese Ideologie - der Sozialpartnerschaft - wurden sie sogar zum Leben erweckt. Innerbetrieblich wurde aber eine neofeudalistische Politik betrieben. „Wir, die Arbeiter, so erzählte sein Bruder weiter, sind von diesem Werk abhängig gemacht worden. Schon unser Vater und auch wir zwei wurden, wie die meisten in dieser Fabrik Beschäftigten, durch den Betrieb mit der Methode des nur mit den innerbetrieblichen Sozialleistungen gerade auskommenden Lohns, einer eigenen Werkswohnung und spezialisiert für den Betrieb in die sozialdemokratische Partei eingebunden. Die behaupten jedes Jahr aufs Neue, das alles für uns in harten Verhandlungen mit dem Vorstand, der Wirtschaft, dem Unternehmer oder sonst wem erkämpft zu haben.“ Sein Bruder fühlte sich den Achtundsechzigern zugehörig und sprach noch in dieser alten Arbeiterkultursprache. Er war Mitglied der sozialistischen Partei und kandidierte bei Betriebsratswahlen für die Fraktion des Gewerkschaftlichen Linksblocks im Betrieb. Er hasste diese Machtmenschen, wie sein Bruder die Betriebsräte nannte, die sich nach dem Oktoberstreik in die Verstaatlichte Industrie bei der sozialistischen Fraktion eingeschlichen haben, zutiefst. Er war überzeugt, dass einige von ihnen in der Nazizeit bei der NAPOLA irgendwo in Jugoslawien waren. Am 20. 4. 1944 traten einige dieser Repräsentanten der NSDAP bei. Darunter waren nicht nur frühere Werksschüler sondern auch später Lehrer von der Stahlstadt. Daher konnte er sich dieser Fraktion im Gewerkschaftsbund nicht anschließen. Mit der ersten größeren Wirtschaftskrise für die Stahlindustrie nach dem zweiten Weltkrieg gehörte Stramm zu einem der Ersten, den die sozialistische Fraktion sozusagen ausgestoßen hatte, weil er einmal auf einer Liste als Unterstützer für den Gewerkschaftlichen Linksblock aufschien. Diesen Grund für Stramms Beseitigung aus dem Betrieb erzählte der Betriebsratsobmann Stramms Vater einmal beim gemeinsamen Kegeln in einem Gasthaus so nebenbei. Dass Stramm schon zehn Jahre als Betriebsschlosser plus Lehrzeit in diesem Betrieb beschäftigt war, zählte anscheinend nichts.
Sogar das Wort „Volkseigentum“ zählte unmittelbar nach seinem unberechtigten vorzeitigen Austritt, so wie es der Personalchef vom Stahlwerk nannte, innerhalb der Sozialdemokratie nichts mehr. Es wird gerecht privatisiert, konnte man in den Zeitungen lesen. Stramm musste seinem Bruder im Nachhinein recht geben…
Von Seite 1 bis 3
Aus "Stramm", eine Erzählung.