• Vorwort

Opfer der Produktion

 

Sprechtext eines Arbeiterdichters

 

Einleitung: Die Sprache ist für mich, als Arbeiter, etwas Vorgegebenes, Fertiges, steht in Büchern

zum Lesen. Selber schreiben kommt mir, in der Rolle des Arbeiters, nicht in den Sinn. Bleibt

 mir nur das Sprechen. Auch gegen oder über das geschriebene Wort. Das gesprochene Wort,

 eines Arbeiters, ohne Verstärker über Rundfunk und Fernsehanstalten, geht verloren, wird

 sofort vergessen, nicht wichtig genommen. Darum der Sprechtext: Mit Hilfe des geschriebenen

 Wortes gegen das herrschende Wort, als „Gegensprech-Anlage“. Das einmal schon Gesprochene

 (im Gasthaus, „am Stammtisch“, auf die Frage: Siehst du dich als Opfer?) zum Nachlesen,

 Festhalten, noch einmal Gebrauchen, davon verwenden, was jeder gerade braucht.

 

 

 

Ein Versuch / mich / als Opfer der Produktion / zu verallgemeinern.

 

 Verwunderlich, seltsam und viel / sprechen jene / die vom Sprechen leben müssen /

 fremd / so wie von einem anderen Stern / hört sich das für die Opfer der Produktion an /

 man spricht von Gewinn und Verlust / als wären Gewinn und Verlust Lebewesen / die man

 füttert mit Zahlen und Daten / ihr einziges Bedürfnis heißt / Kostenreduzierung.

 Ich habe auch einmal / in meiner Jugend / am Fließband / arbeiten müssen /

 schrecklich / aber jetzt wird alles automatisiert / sagen sie / die angelernten, hoch

 gebildeten, wohlerzogenen Sprachexperten und Ideologen / für die Wirtschaft.

 Das heißt übersetzt / morgen bist du weg / Kollege.

 Das Wir / ist schon längst verloren gegangen / hat sich monopolisiert / personalisiert / und

 installiert / in Institutionen und Vereinen / nennt sich Interessenvertreter / ist Einsager

 der Opfer / und gab sich den Namen / Sozialpartner / schon vor einiger Zeit.

 Im Namen des Allgemeinwohls / so heißt es / also gemeinsam von Wirtschaft und Arbeit / werden

 die Opfer bestimmt / die einen nennen die Anzahl / die anderen / die Namen / der Freizusetzenden

 / oder sind die Hände gebunden / und die Angst / selbst den Arbeitsplatz verlieren zu können

 / macht die Verbliebenen in der Produktion / zu Mittätern / als Erstes / werden die Köpfe der

 Opfer / von den Mittätern / ein paar Mal / bis zur geistigen Verwirrung / gedreht / damit sie

 /die Orientierung verlieren / und so alles richtig verstehen / nämlich falsch / danach lassen sie

 sie im Glauben / das kleinere Opfer / für die Gesundung aller / vollbracht zu haben / gehen /

 den Rest übernehmen die Experten und Sprachgewaltigen / deren Phrase / von Kündigungen

 durch Selbstschuld / wird so Schutz und Glaube zugleich / das Opfer ist vollbracht.

 Rausgeworfen aus den alten sozialen Beziehungen / bleibt das

 Opfer / als Individuum / alleine gelassen / zurück.

 Jetzt weiß es nicht mehr / wo vorn und hinten ist / so wie die anderen Geopferten / das

 heißt  / von der Fabrik eingesaugten / von der Arbeit ausgesaugten / und im Namen der

 Wirtschaft / wieder ausgespuckten und blutleer zurückgelassenen Arbeitskräfte / die

/ irgendwann einmal mehr sein wollten / als nur lebendige Arbeit / vielleicht ein Mensch?

 Aus wirtschaftlichen Gründen / können wir von einer Kündigung nicht Abstand nehmen

 / so heißt es / am Ende / wissenschaftlich belegt / und unterlegt mit Zahlen und Daten /

 was dabei vergessen wird / ist / Einführung neuer Technologien / allein vom Zwang des

 Marktes auferlegt / untergräbt nur die Springquellen des Reichtums / die heißen / Erde und

 Arbeiter / und Gewinne durch Spekulation / führen / früher oder später / in die Verschuldung

 / denn Geld kann nicht Geld erzeugen / auch Wettbewerbschance heißt nur Kampf um

 Marktanteile für Einige / und bringt neue Armut für Viele mit sich / aber nur so kann sich

 Vermögen weiter anhäufen / durch Verschuldung / früher auch Raub genannt.

 Was die Experten auch sagen / Sozialpartnerschaft / läuft nur auf Verfälschung der wirklichen

 Vorgänge hinaus / und hat nichts mit Ausgleich der Interessen zu tun / sondern bedeutet einfach

 / Wirtschaftsinteressen kommen vor Arbeiterinteressen / aber eine einseitige Aufkündigung der

 Sozialpartnerschaft / bedeutet einfach / Vorherrschaft der Wirtschaftsinteressen / meinen die

 Experten und Sprachgewaltigen / und führt höchstens ins kapitalistische Mittelalter zurück / so

 oder so / das System holt sich seine Opfer / anderes gesagt / die Interessen der Kapitalistenklasse

 maskieren sich als Allgemeininteresse / die heißen / Sicherung des Profits / Senkung der Löhne /

 Steuerfreiheit des Besitzes / Arbeitszeitverlängerung oder Kurzarbeit / alles im Interesse der so

 genannten Volksgemeinschaft / denn das Kapital heckt Profit dort / wo es am meisten / für sich /

 herausholen kann / wenn es nicht mehr anders geht / auch über Verschuldung der Bevölkerung ganzer

 Nationalstaaten / die daraus resultierenden sozialen Krisen / sind das Resultat / eines andauernden

 Wirtschaftskrieges / das / vorherrschend vom Mann / auch Marktwirtschaft genannt wird.

Wird die Sozialpartnerschaft durchschaut / fällt die Maskierung.

 Dahinter wird deutlich / dass auch du als Lohnabhängiger / früher oder später / wegrationalisiert

 wirst / damit der Gewinn gesichert bleibt / denn Löhne sind Kosten / und Kosten verursachen

 Verluste / du Kollege bist nur ein Kostenfaktor / den man jederzeit streichen kann / aber Gewinn

 und Verlust sind lebendige Wesen / die ewig im Kampf miteinander stehen / hervorgerufen

 durch die reine Geldbeziehung / und so sich gegenseitig regulieren / alles in Bewegung setzen

 / auch den Arbeitnehmer / so heißt es / dieser darf dafür / das Leben der Vermögenden /

 kopieren / und verkleinert / in seiner Freizeit / diszipliniert / je nach Vorbild / nachleben /

 wie auch immer / Geld erzeugt Geld / und man muss sich der Wirtschaft anpassen / nicht

 umgekehrt / erklingt es aus Rundfunk und Fernsehanstalten / aber von Arbeitszeitverkürzung

 bei vollem Lohnausgleich / wie abgemacht / spricht keiner mehr / merkwürdig oder?

 Wer zahlt die Experten und Sprachgewaltigen?

 Warum sprachen sie vor ein paar Jahren noch ganz anders?

 Warum sagen sie nicht / dass Wirtschaftswissenschaft nur Bereicherungswissenschaft ist?

 Oder ist für sie nur wahr / was der Fall / also Form / ist?

 Zum Beispiel mathematische Formeln / und die Formel / Wirtschaft für alle / nichts anderes als

 ein Jammern und Klagen / von den Lohnabhängigen ist / die glauben / bettelnd / durch Spenden,

 Almosen, Unterstützung und so weiter / aufsammeln zu können / was von oben zu ihnen durchdringt /

 anscheinend nicht wissend / dass aller Reichtum / durch ihre Hände und Köpfe vorerst erzeugt werden

 muss / erst danach / rechtlich abgesichert / hierarchisch / sich nach oben zum Eigentümer begibt /

 und auch allgemein / privatkapitalistische Aneignung der Ergebnisse der Produktion / genannt wird.

 In den Augen der Sprachgewaltigen / müssen Opfer gebracht werden / Schulden auf sich genommen

 werden / damit sich wenige ihr Vermögen anhäufen können / Billionen Dollar / die nicht mehr in

 die warenproduzierende Wirtschaft investiert werden / sondern in der Welt herumvagabundieren

 / müssen hereingebracht werden / durch Opferbringung / damit das so bleibt / bist jetzt du an der

 Reihe / Kollege / sieh dich als Opfer / du wirst nicht das letzte sein / auch wenn dein Name nicht

 ausgesprochen wird / findest du dich unter Kostenfaktor wieder / denn die wissen besser / wer du bist /

 eine betriebswirtschaftliche Abschreibung / bestenfalls eine Maschinenverlängerung mit menschlichem

 Antlitz / was noch bleibt wird verlagert, erneuert, verbilligt und gewinngarantiert abgesichert.

 Die Konkurrenz schläft nicht / man muss schauen / wo man bleibt / sagt der

 Unternehmer / und verschwindet / in ein Billiglohnland / und man / landet auf der

 Straße / die daraus resultierende Globalisierung / ist die göttliche Instanz / aller

 Machtkämpfe untereinander / merke / Gewinn zählt mehr als ein Menschenleben.

 Wird das Wort „Wir“ oder „Ich“ / so wie es aussieht / nicht mehr in der

 herrschenden Sprache verwendet / weil zu viele Verbrechen / dadurch /

 zugeordnet werden könnten / dann verwendet man das Wort „Man“.

 Und / wird das Wort „Marktwirtschaft“ / so wie es aussieht / dort verwendet / wo eigentlich

 / das Wort „Kapitalismus“ / gebraucht werden müsste / nur / um eine „Selbstregulierung“

 vorzutäuschen / die nichts anderes bedeutet / als / wer sich nicht anpasst / hat schon verloren

 / denn / die „unsichtbare Hand“ von Adam Smith / darf nicht beim Namen genannt werden.

 Die Zukunft ist schon vorgezeichnet / denn / im „Wir“ wird es enger / man denke an / Wir

 sind Opel / egal wer Opel letztendlich wirklich ist / oder an die Wortschöpfungen „geschützte

 Werkstätte“ / „ Wohlstandsgesellschaft“ und so weiter / die ihren Zweck erfüllten / einmal

 davon ausgesperrt, isoliert, entwurzelt, von einem Job zum anderem rettend / bleibst du

 Fremdkörper an jedem neuen Arbeitsplatz / dem Konkurrenzkampf untereinander ausgesetzt.

 Um Anerkennung und Wärme zu finden / bleibt dir nur die Flucht / in die „besondere Gruppe“

 außerhalb der Arbeit / einmal darin emotional gefangen / gehörst du zu ihnen / und weil diese

 meist auf reinem Selbstzweck aufgebaut sind / hast du darin deinen Zweck zu erfüllen.

 Politische Parteien / zu Selbstzweckgruppen verkommen / und mit populistischen

 Führern zum Kern des politischen Lebens aufgestiegen / führt zur Aushöhlung der

 Demokratie / lang währende Regierungskrisen / Aktivierung rechter, faschistischer Kräfte

 / Korruption und Bestechungsskandale / letztendlich zu Kriegen / man denke an die

 Propaganda „Wir sind Deutschland“ / egal wer in Wirklichkeit Deutschland ist / es geht um

 Machtbeziehungen / das „Wir“ löst sich dahinter in / Macht um der Macht willen / auf.

 Es ist besser / Verluste zu sozialisieren / und Gewinne zu privatisieren / sagen / die Inhaber

 der ökonomischen Macht / und bedienen sich am letzten Rettungsanker / dem Staat / denn

 oben ist unten / und hinten ist vorn / und links ist rechts / ganz einfach / das Wir / einmal

 ausgemacht als Machtbeziehungen / siegt sich zu Tode / und dann waren es die anderen.

 *Über die Opfer der Produktion wurde noch keine Geschichte geschrieben. In den Büchern existieren

 sie nur in sachlicher Art (zum Beispiel abgeschriebene Posten) oder werden als Geldsummen,

 Ziffern und Kostenfaktoren betrachtet. Der Mensch dahinter scheint nirgendwo auf.

 Denn / die etwas Besonderes leisten / übersetzt / die es zu Vermögen gebracht haben

 und bringen / sind / die einzigen Persönlichkeiten / übersetzt / letzten Götter / der

 heutigen Zeit / und machen die Geschichte / sagen die Sprachexperten.

 

 

Werner Lang, ihr Buch "Stramm" ist ganz ungewöhnlich und außerordentlich - es hat mich fasziniert, wie Sie die eigenen Arbeitserfahrungen und die negative soziale, kapitalistische Entwicklung in Österreich in Ihren Text integriert haben! Es gibt meines Wissens nichts Vergleichbares in der Literatur der Arbeitswelt. Und die Verbindung mit den tollen
aussagekräftigen Fotos ist eine hervorragende Ergänzung.
Erasmus Schöfer

Das Buch "Stramm" (Geschichte der Industriearbeit) ist im Buchhandel in Wien erhältlich:

Brigitte Salanda, a.punkt € 18,- bis 30.5. ab 31.5 21 Euro)

 

Ab Dienstag 19.05.2020

 

Di–Fr 11–18:30 Uhr, Sa 10–17 Uhr

 

01 532 85 14

 

Fischerstiege 1–7
A–1010 Wien

 

 

 

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mo – fr von 10 – 18 uhr, sa 10 – 15 uhr.
taborstrasse 17A
1020 wien

 

 

 

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Ab Mittwoch 20.05.2020

 

Mi–Fr 14–18, Sa 12–16 Uhr

 

Preysinggasse 26 - 28/1

 

U3 Schwenglerstraße, Ausgang Stättermayergasse

 

0660 3913865

 

1160 Wien

 

 

 

Rotes Antiquariat Wien € 18,- bis 30.5. ab 31.5 21 Euro)

 

Ab Dienstag, 19.5.20, zwischen 15 und 19 uhr

 

Florianigasse 36

 

Di, Do, Fr 15–19, Sa 11–16 Uhr

 

rote.galerie.wien@gmx.at

 

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1080 Wien

 

 

 

Lhotzkys Literaturbuffet  € 18,- bis 30.5. ab 31.5 21 Euro)

 

Ab Dienstag 19.05.2020

 

Di-Fr 13:00-18:00 Sa 9-13 Uhr

 

06991 5851668 / 01 2764736

 

Rotensterngasse 2

 

1020 Wien