Erinnerung an den Schriftsteller und Werkzeugmacher Alfred Hirschenberger, geboren 11. Juli 1919 in Wien, gestorben am 8. März 2017:

 

Von Reinhold Sturm: Über „Eruption und Erosion“ Ein Österreich-Roman, von Alfred Hirschenberger, Erschienen, trafo Verlagsgruppe 2013 und

 

„Das Feigenblatt und andere Abwegigkeiten“, gefco Verlagsgruppe 2013

 

 

 

„Kapital als Religion“ Paul Lafargue 1886, MSB Berlin 2009

 

 

 

Alfred Hirschenberger, ein klassenbewusster Arbeiter, der seinen beruflichen Weg erfolgreich absolviert hat, hat auch die Bildungs- und Reflexionsideale der Arbeiterbewegung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verwirklicht. Im Roman „Eruption und Erosion“ schildert und reflektiert er in der Form einer fiktiven ins Autobiografische gehende Roman-Erzählung die Geschichte der Ersten Republik aus der Sicht eines Arbeiterkindes und Arbeiterjugendlichen, der in einem Gemeindebau des Roten Wien groß wird.

 

Sprachgewandt, realistisch, aufklärend, mit einer modellhaften Kritik der politischen Ökonomie dieser und unserer Zeit und einer konstruktivistischen Behandlung des Mediums Sprache zur Literaturgestaltung.

 

„Eruption und Erosion“, die vom Standpunkt der Arbeiterklasse reflektierte Geschichte Österreichs stellt mit ihrem Gegenwartsbezug und damit der Kritik an Versprechungen, Hoffnungen dieser Zeit den Rahmen für die Erzählung dar. Hirschenberger knüpft an die beste Tradition revolutionärer Literatur und auch aufgeklärt bürgerlicher Literatur dadurch an, dass er mittels Verfremdung, Ironie und Sarkasmus den Geschichtsverlauf Österreichs und Europas zwischen 1919 und 1950 kritisch darstellt. Ironisch bezichtigt sich der Autor der Allwissenheit im Erzählstrom, da er die Gegenwart kennt. Das Fleisch, das er dem Reflexions- und Faktengerüst gibt, wird durch die milieutreuen Erlebnisse seiner literarischen Figuren lebendig.

 

Kurzzeitig erscheint Wien als eine Insel der selig werdenden Arbeiterklasse. Rosa Luxemburg hat diese Illusion der kurzfristigen Erfolge der Sozialdemokratie nach dem ersten Weltkrieg heftig kritisiert und damit u.a. die kommunistische Parteiwerdung begründet – wobei sich auch die damit verbundene Hoffnung 70 Jahre später als unhaltbar erwies.

 

In der Betrachtung unserer neueren Geschichte, insbesondere der Geschichte der Arbeiterbewegung und der Bolschewistische Revolution werden, wie auch bei Hirschenberger, die historischen Ereignisse nicht in einem längeren Kontext der Kämpfe, der Aufstände und Rebellionen der versklavten und arbeitenden Massen gegen die Unterdrückung ihrer Lebensbedürfnisse und Forderungen gesehen.

 

So wird die französische Revolution üblicherweise nicht als Revolution der Sansculotten mit Hilfe des Kleinbürgertums gesehen, welche dann, durch Entfremdung der Jakobiner von den Forderungen der Besitzlosen, vom Bürgertum (der Gironde) mit Hilfe Napoleons vereinnahmt wurde und letztlich nach der Restauration des Adels (Wiener Kongress) im Bürgerkönigtum und bei den anderen Verbündeten (Deutschland, Österreich…) im Neofeudalismus, Nationalismus und Neoabsolutismus mündete.

 

Die russische Revolution der Bolschewiken war aus den Gräueln des Krieges und der Not des Volkes, vor allem der Hoffnung der Ärmsten geboren, wenn sie auch vielen Intellektuellen und Kleinbürgern als verwirklichbare Utopie erschien. Der Bürgerkrieg durch die Entente in den 20-er und 30-er Jahren entfacht, die faschistischen Raubkriege mit zig Millionen Toten, das brachte eine gigantische Deformation der Ökonomie und Politik durch die Kriegswirtschaft und deren Folgen in der Bevölkerungsstruktur und dem demokratischen Bewusstsein hervor, stützte den Personenkult und führte durch die ökonomische Isolation der UdSSR durch die Westmächte zu schweren Schäden in deren ökonomischen Entwicklung. Trotzdem brachte die Revolution Erfolge. So war die UdSSR mit ihren Verbündeten ein Organisator für die Unterstützung der Befreiungsbewegungen in aller Welt. Sie organisierte auch Kultur und Bildung für das arme Volk. Die neuen Eliten der kommunistischen Staatspartei waren zunehmend über ihre individuellen Konsummöglichkeiten enttäuscht. Die kapitalistische Konsumpropaganda (jenseits der Ökologie!) wirkte durch die neuen Medien immer stärker und förderte damit auch die Täuschung des Volkes über die möglichen Ziele und Erfolge im Sozialismus. Daher war dieses sozialistische Experiment durch seine neue Elite (vor allem aus der Mafia und dem militärisch/industriellen Komplex kommend – ähnlich der USA nach den Weltkriegen) ende der 80-er Jahre als Privateigentum usurpierbar.

 

Die Illusion der vernunftgeborenen Revolution hat die herrschende Elite des Feudalismus und des Kapitalismus nie beeindruckt. Sie hat nur Angst vor dem Knecht, der keine Todesfurcht mehr kennt, wie Hegel sagen würde; daher organisiert sie die möglichst totale Kontrolle des Volkes in seinen Handlungen und der Desinformation seiner Ideen mittels Aufrüstung in allen Dimensionen und Bereichen der Informatik und Medien und tendenzieller Privatisierung des Repressionsapparates, die im Krisenfall auch jenseits staatlicher Organisation verfügbar ist.

 

Im Teil „Der unerlässliche gesellschaftspolitische Wandel?!“ wird auf ca 60 Seiten ein kritisch- polemischer Abriss der neueren Geschichte, insbesondere der Stellung der Sozialdemokratie in Österreich gegeben. Faktenreich und pointiert wie selten in Österreich werden die drohenden Gefahren und die politischen Versäumnisse dargestellt.

 

Die Enttäuschung Hirschenbergers mit der Sozialdemokratie, genährt durch die Hoffnungen basierend auf kurzzeitigen insulären Erfolge vom sozialdemokratischen Wien der 20-er Jahre - hierin konnte man das schöpferische Potential der Arbeiterklasse sogar in der Sphäre des ehemaligen Habsburgerreiches erahnen - gipfelt auch in einigen Kurzgeschichten und im Kurzdrama des Buches „Das Feigenblatt und andere Abwegigkeiten“ in der Sinnfrage des eigenen Lebens und der Geschichte.

 

Schon Lafargue hat in seiner Streitschrift „Kapital als Religion“ 1868 gezeigt, dass das Kapital sich mit seinen „Drahtziehern (Charaktermasken.)“ als die neue Religion der Kapitalisten, des von ihnen abhängigen Bürgertums und Kleinbürgertums etabliert und dass diese absolute Herrschaft alle Menschen, vor allem auch die Armen durch die Arbeit zu diesem wahren globalen Monotheismus zwingt.

 

Die bekannte unsichtbare Hand des Marktes regelt göttergleich im Kapitalismus das Leben aller, mit Hilfe seiner hohen Priester- der Kapitalistenkaste, seiner Wissenschafter, Künstler, Polizei, Militärs und mit der Integration der arbeitenden und dienenden Bevölkerung, welche um die Gnade, sich vom Kapital ausbeuten zu lassen, bitten und betteln muss.

 

Natürlich kennen die hohen Priester des Kapitals die Tricks, wie man die Religion in der Konjunktur und wie man sie in der Krise zum eigenen Vorteil nutzt. Wie man Häretiker bekämpft ist klar, mit dem Schein des Liberalismus. Steht das Volk auf, rebelliert es oder verlangt es Brot und Demokratie, dann einigen sich sogar verfeindete Staatsmächte im Kampf dagegen (franz. Revolution, Pariser Kommune, bolschewistische Revolution …), wenn das Eigentum und damit die Religion des Kapitals in Gefahr ist. Die Sozialdemokratie hat in allen europäischen Ländern – soweit sie überhaupt gefragt wurde - für die Kriegsbudgets des ersten Weltkrieges gestimmt und konnte später den Faschismus nirgends verhindern.

 

Nach dem zweiten Weltkrieg hat sie in der Partnerschaft mit dem Kapital – der Sozialpartnerschaft - ihre Niederlagen überwunden, indem sie ihre Gegner in die eigenen Reihen integrierte.

 

Ihr wahrer Gegner war nach 1945, und das hatte sie mit Kirche, ehemaligen Nazis und den Parteien des Kapitals gemeinsam, der Kommunismus trotz oder gerade wegen seiner Opfer im erfolgreichen Kampf gegen den Faschismus. Es gibt derzeit keine bedeutende linke Bewegung in Europa – was nach diesem Jahrhundert des Antikommunismus und der Vernichtung der Intelligenz auch kein Wunder ist.

 

 

 

Hirschenberger legte in seinen Romanen den Finger in die Wunde. Er zwingt uns durch die Kraft des Erzählens aus seiner Lebenszeit die Fragen unserer Gegenwart nicht mehr so leicht zur Seite zu schieben. Er hat uns mit seiner Literatur eine schwere emotionale und auch sachlich Kost hinterlassen – aber er hat uns den Boden gut bereitet.

 

Danke, Alfred Hirschenberger

 

Aus „Eruption und Erosion“:

 

Eine Anmerkung: Es ist schon mehr als merkwürdig, wenn "marxistische" Ideologen dem Sozialismus nur mehr in der biologischen Entwicklungsgeschichte des Gehirnvolumens eine Zukunft prophezeien. Sie sind gläubig, glauben an eine biologische Absicht, an einen Plan der Evolution, den es nicht gibt." Sie vertrösten, gläubig, nehmen dem Sozialismus das Beste, was er hat, "das sich nicht abfindend, das seiner sich Bewusstsein, den Schrei nach Gleichheit, Freiheit, nach Unabhängigkeit, gegen Ausbeutung, Willkür und Macht". Die Gerechtigkeit, die ergibt sich angleichend dann von selbst. Sie bekennen verzagt, sich nicht zur Überwindung. Der Schrei verstummt. Und sollten auch die gerufenen Schlagworte, von der Bedrängnis geformt, keinen anderen Inhalt haben als nur den Schrei, er sei, der Schrei! S. 87

 

 

 

Werke

 

Alfred Hirschenberger: Spiegelung. Geschichten und Erzählungen. Wien: Uhlen 1983.

 

Liesing. Lainz. Langenzersdorf. Wien: Edition Maioli 1989.

 

Die Welt, ein System von Annahmen. Eine lustvolle Hinterfragung des Systems „Kapitalismus“. Berlin: trafo Wissenschaftsverlag 2008 (edition wortmeldung 4)

 

Eruption und Erosion. Ein Österreich-Roman. Berlin: trafo Literaturverlag 2013 (Autobiographien 43). Das Feigenblatt und andere Abwegigkeiten. Wien: gefco 2013.

 

Um eine Hoffnung ärmer. In: Erich Hackl und Evelyne Polt-Heinzl (Hg.): Im Kältefieber. Februargeschichten 1934. Wien: Picus 2014, S. 253–259.

 

Das Feigenblatt und andere Abwegigkeiten. Wien: gefco 2013.

 

Um eine Hoffnung ärmer. In: Erich Hackl und Evelyne Polt-Heinzl (Hg.): Im Kältefieber. Februargeschichten 1934. Wien: Picus 2014, S. 253–259.

 

 

 

Literatur

 

Hirschenberger, Alfred: Die Welt, ein System von Annahmen. In: Wiener Zeitung, 20.03.2015. URL: http://www.wienerzeitung.at/themen_channel/literatur/buecher_aktuell/241872_Hirschenberger-Alfred-Die-Welt-ein-System-von-Annahmen.html [Stand: 10.04.2015]

 

Duftender Doppelpunkt: Lesung Alfred Hirschenberger. URL: http://literaturblog-duftender-doppelpunkt.at/2013/10/01/lesung-alfred-hirschenberger/ [Stand: 10.04.2015]

 

"Wir waren nur noch das Gsindel". In: Der Standard, 07.02.2015. URL: http://derstandard.at/1389859666228/Alfred-Hirschenberger-Wir-waren-nur-noch-das-Gsindel [Stand: 10.04.2015]

 

Gewerkschaftlicher Linksblock im ÖGB (GLB): Buchpräsentation über Alfred Hirschenberger. URL: http://www.glb.at/article.php/buchprasentation-uber-hirschenberger-alf [Stand: 10.04.2015]

 

Februar 1934: Ein Zeitzeuge erzählt. URL: http://oe1.orf.at/artikel/366980 [Stand: 10.04.2015]

 

Etliche Artikel in der Zeitschrift: „Mitbestimmung“, Verleger und Herausgeber, Arbeitsgemeinschaft zur Demokratisierung der Arbeitswelt.

 

 

 

 

 

Werner Lang, ihr Buch "Stramm" ist ganz ungewöhnlich und außerordentlich - es hat mich fasziniert, wie Sie die eigenen Arbeitserfahrungen und die negative soziale, kapitalistische Entwicklung in Österreich in Ihren Text integriert haben! Es gibt meines Wissens nichts Vergleichbares in der Literatur der Arbeitswelt. Und die Verbindung mit den tollen
aussagekräftigen Fotos ist eine hervorragende Ergänzung.
Erasmus Schöfer

Das Buch "Stramm" (Geschichte der Industriearbeit) ist im Buchhandel in Wien erhältlich:

Brigitte Salanda, a.punkt € 18,- bis 30.5. ab 31.5 21 Euro)

 

Ab Dienstag 19.05.2020

 

Di–Fr 11–18:30 Uhr, Sa 10–17 Uhr

 

01 532 85 14

 

Fischerstiege 1–7
A–1010 Wien

 

 

 

tiempo nuevo € 18,- bis 30.5. ab 31.5 21 Euro)

 

mo – fr von 10 – 18 uhr, sa 10 – 15 uhr.
taborstrasse 17A
1020 wien

 

 

 

Libreria Utopia € 18,- bis 30.5. ab 31.5 21 Euro)

 

Ab Mittwoch 20.05.2020

 

Mi–Fr 14–18, Sa 12–16 Uhr

 

Preysinggasse 26 - 28/1

 

U3 Schwenglerstraße, Ausgang Stättermayergasse

 

0660 3913865

 

1160 Wien

 

 

 

Rotes Antiquariat Wien € 18,- bis 30.5. ab 31.5 21 Euro)

 

Ab Dienstag, 19.5.20, zwischen 15 und 19 uhr

 

Florianigasse 36

 

Di, Do, Fr 15–19, Sa 11–16 Uhr

 

rote.galerie.wien@gmx.at

 

01 4023762

 

1080 Wien

 

 

 

Lhotzkys Literaturbuffet  € 18,- bis 30.5. ab 31.5 21 Euro)

 

Ab Dienstag 19.05.2020

 

Di-Fr 13:00-18:00 Sa 9-13 Uhr

 

06991 5851668 / 01 2764736

 

Rotensterngasse 2

 

1020 Wien