Aus dem neuen Buch „Stramm“
Wiederholende Rückblendungsmonotone
Wo Stramm auch gearbeitet hat, die Arbeiter benahmen sich alle gleich, industriesozialpartnerschaftlieh unterdrückt, würde sein Bruder sagen. Sein Bruder hatte einen Stammtisch in einem Nebenzimmer einer Kegelbahn. Jeden Sonntag von fünf bis sieben Uhr war er dort mit fünf oder sieben Gleichgesinnten anzutreffen. Stramm wurde am Anfang auch zu dieser Runde gezählt. Er konnte die mehrfachen Aufforderungen seines Bruders, auch beim Stammtisch vorbeizuschauen, nicht immer abschlagen.
Dort sagte sein Bruder schon in den Anfangen der 80er-Jahre, dass wir seine Gewerkschaftsunterlagen lesen sollen, die er von den Schulungen mitbekommen hat. "Darin steht" - und das sagte Stramms Vorarbeiter im Walzwerk ein paar Jahre später auch - "dass Fortschritt einfach Wirtschaftswachstum sein soll, behaupten die führenden Gewerkschafter. Es wird einem noch immer die Benya-Formel beigebracht. Aber von Emanzipation steht nichts drinnen. Und dass die an der Spitze der Gewerkschaft sich selbst seit neuestem als Manager für die Lohnabhängigen bezeichnen, ist nur ulkig. Aber die Zeit des wirtschaftlichen Wachstums ist vorbei, und die Betriebsräte fühlen sich noch immer in erster Linie ihrer Firma verpflichtet und pflegen die harmonische Sozialpartnerschaft und verfahren nach der Devise, eine Hand wäscht die andere. Wenn sie diese falsche Gewerkschaftspolitik in der Krise weiter betreiben, sind sie hilflos jeder Argumentation des Kapitals für eine Lohnsenkung ausgeliefert, oder werden selbst die Schrittmacher von Lohnsenkungen". Mit dem Wort "Kapital" konnte Stramm nie viel anfangen, aber er weiß, dass die Betriebsräte der sozialistischen Fraktion des Gewerkschaftsbundes schon in den siebziger Jahren im Stahlwerk, als er noch in der Lehrwerkstätte in der Verstaatlichten Industrie arbeitete, aus der Generation der Hitlerjugend, der auch sein Vater angehörte, stammten. Und die Hitlerjugend bekam eine gesellschaftliche Rolle zuerkannt, die Jugendlichen nicht zustand. Erzogen für ein angebliches übergeordnetes Gemeinwohl, indem sie als Disziplinierer ihre Machtspiele durchspielen konnten. Danach spielten sie ihre Spiele in den Betrieben, als Betriebsräte, wo man sie ließ, durch. Denn Stramms Mutter erzählte ihm einmal, dass einige, die jetzt Betriebsräte im Werk sind, in der Nazizeit mit Hakenkreuzbinden vor dem einzigen Kino der Stadt standen und sich als Ordner aufspielten, Wenn ein Jugendverbot-Film gezeigt wurde, wurden die Personen vor der Kinokassa herausgeholt, die ihrer Meinung nach nicht in das Kino gehen durften, um sich den Film anzusehen.